24. September 2010

Stauffenbergs Grab (angeblich) entdeckt

inmitten des Waldes

Manchmal überrascht die Geschichte mit deutlicher Verzögerung.
Ich liebe den Südwestkirchhof Stahnsdorf. Schon diverse Male war ich dort und bin über das riesige Areal gewandert, vorbei an alten, teilweise überwucherten Gräbern. Die Liste der dort bestatteten Personen liest sich wie das who's who des Berlins des frühen 20. Jahrhunderts. Bisher ist es mir nicht gelungen, alle interessanten Gräber aufzuspüren, zu unübersichtlich ist das Gelände.
Auf einem Stadtplan entdeckte ich ganz in der Nähe einen weiteren Friedhof, der zumindest vom Namen her ähnlich vielversprechend klang: Der Wilmersdorfer Waldfriedhof Güterfelde. Er wurde im gleichen Jahr angelegt, wie das Stahnsdorfer Pandon, konnte es mit diesem jedoch niemals aufnehmen, obwohl der Friedhof laut Wikipedia "heute zu einem den schönsten Berlins zählt".
Ende März war ich dort. Wie Wikipedia zu diesem hochtrabenden Lob kommt, ist mir ein Rätsel. Vermutlich war der Verfasser der Beschreibung nie persönlich da. Schönheit sieht wahrlich anders aus.
Wer sich für Grabarchitektur interessiert, wird fürchterlich enttäuscht. Auf dem vorderen Friedhofsteil befinden sich die neuen Gräber, die - wie für Deutschland typisch - völlig fantasielos und einheitlich daherkommen: ein langweiliger Grabstein mit nichtssagender Inschrift, etwas Efeu, bestenfalls Geranien. Dahinter liegt der alte Friedhofsteil. Eine Kapelle (ebenfalls nicht als architektonisches Kleinod zu bezeichnen) und das einzige Mausoleum.
Der Südwestkirchhof Stahnsdorf konnte sich bis zum Mauerbau prächtig entwickeln. Immerhin hielt die eigens errichtete Friedhofsbahn fast direkt vor dem Haupteingang. Der Wilmersdorfer Waldfriedhof liegt hingegen fernab vom Schuss, wer ihn erreichen will, muss entweder gut zu Fuß sein oder ein geeignetes Transportmittel zur Verfügung haben (was in früheren Zeiten wohl kaum auf den Großteil der Bürger zutraf).
Nach dem Bau der Berliner Mauer war die Pflege der Gräber für Westberliner nur erschwert möglich.
Die Natur hat sich den alten Friedhofsteil längst zurück erobert. Nur hat sie hier richtig gute Arbeit geleistet. Während Wildwuchs und Verfall auf anderen Friedhöfen, wie dem Stahnsdorfer Südwestkirchhof, dem Jüdischen Friedhof Weißensee oder den Friedhöfen am Friedrichshain eine wunderschöne Symbiose eingehen, herrscht in Güterfelde blanke Zerstörung. Inmitten des Waldes, wie es scheint, lassen sich Grabsteinfragmente und verwitterte Kreuzreste ausmachen. Allerdings völlig unspektakulär. Einzig interessant erschien mir der Obelisk auf dem Sowjetischen Ehrenfriedhof.
Im August erhielt ich eine E-Mail von der Mitarbeiterin eines schwedischen Geschichtsmagazins, die wissen wollte, ob ich die Bilder auf dem Güterfelder Friedhof oder im angrenzenden Wald aufgenommen hatte. Sie begründete ihre Anfrage mit dem Hinweis, dass das Grab Stauffenbergs in besagtem Wald vermutet werde. Während unserer Korrespondenz schickte sie mir den Link zu einem Artikel der Daily Mail.
Nun ja... Daily Mail zählt zu den middle-market newspaper, auch wenn der Artikel eher an die Berichterstattung der gutter press erinnern mag. Die Behauptung, dass Stauffenberg hierzulande als Held verehrt wird, ist doch reichlich übertrieben. Und dass die Mitverschwörer (nicht Tausende sondern etwa 200) mittels Klaviersaiten erhängt wurden, stimmt so auch nicht.
Im September erschien ein Artikel in dem Schwedischen Geschichtsmagazin Allt om Historia. Der Artikel äußert sich ähnlich, wie der Beitrag der Daily Mail, unterlässt jedoch die falschen Ausschmückungen.
Eine Suche über Google brachte mich auf zwei Artikel der Märkischen Allgemeinen (Artikel 1, Artikel 2), die sich schon ganz anders lesen.
Alles also eine bloße Zeitungsente?
Gut vorstellbar, dass SS-Schergen in Güterfelde nach besagter Grabstelle für zehn bis zwölf Personen gefragt haben. Aber: von Stauffenberg, von Haeften, von Quirnheim, Beck und Olbricht sind laut meiner Mathematik fünft Personen, wozu sollten diese in einem so großen Grab beigesetzt werden? Wäre es nicht durchaus denkbar, dass dieses Gemeinschaftsgrab für weitere Personen gedacht war, die nach dem Umsturzversuch ermordet wurden? Vielleicht gab es sogar Überlegungen oder Pläne, weitere Personen standrechtlich zu erschießen, ehe die Naziführung auf die Idee kam, die Mitverschwörer (oder als solche bezeichnete) wesentlich perfider vom Leben zum Tode zu befördern.
Es ist doch sehr unwahrscheinlich, dass die Hauptverschwörer nach der Exhumierung ihrer Körper in Güterfelde beigesetzt worden. Hitler wurde bereits um die Rache an den lebenden "Verrätern" gebracht.
Wer sich mit den Biografien der Mitverschwörer (z.B. auf den Seiten der GDW) befasst, dem kann eigentlich nur speiübel werden. Zu grausam sind die Details ihrer Hinrichtung. Hängen hieß hier nicht Genickbruch durch long drop, sondern qualvolles Ersticken. Während des langsamen Todeskampfes liefen die Kameras, um das Sterben, wie auch die Demütigungen, die die Delinquenten bis zum letzten Augenblick zu erdulden hatten, peinlich genau zu dokumentieren.
Anderes Beispiel: Henning von Tresckow. Dieser hatte in weiser Voraussicht den Freitod gewählt, ehe die Nazis seine Mitwirkung am Umsturzversuch begriffen. Als der Groschen fiel, wurde sein Leichnam exhumiert, vom Gut Warteberg nach Sachsenhausen verbracht und verbrannt.
Und ausgerechnet Stauffenberg sollte ein halbwegs anständiges, wenn auch geheimes Grab erhalten haben?
Das ist nicht nur fragwürdig, sondern haltlos.

Gute Nacht da draußen - was immer Du sein magst!  ^''^

23. September 2010

Fontane-Apotheke

Der Zauber steckt immer im Detail.
Theodor Fontane

Fontanes Apotheke / Fontane's pharmacy

Es soll dort spuken, im alten Bethanien. Sarah Khan widmet Bethanien ein ganzes Kapitel in Die Gespenster von Berlin (siehe hier).
Friedlich und pittoresk wirkt das alte Diakonissenkrankenhaus. Eine kleine Eisdiele, ein Restaurant, ein paar Ateliers und inzwischen auch einige Firmen befinden sich dort, wo bis vor wenigen Jahren noch Künstler das Haus besetzt hielten und ehedem Kranke gepflegt wurden.
In der äußerstersten Ecke des Ostflügels befindet sich die Fontane-Apotheke. Hier arbeitete der Schriftsteller, Poet und Wanderer Theodor Fontane in den Revolutionsjahren 1848/1849 und bildete Diakonissen im Beruf des Apothekers aus. Über seine Zeit in Bethanien hat Fontane in der Autobiografie Von Zwanzig bis Dreißig geschrieben (und dabei auch seine kleine Geisterbegegnung in Bethanien wiedergegeben).
Die Apotheke sieht ganz so aus als hätte sie die Zeit, in der Fontane hier tätig war, überdauert. Die Regale und Medizinschränke sind voll mit Fläschchen, auf deren Etiketten in altdeutscher Handschrift der Inhalt vermerkt ist.
Leider kam ich ein paar Minuten zu spät zu der Geschichtsexkursion, auf die eine Mitarbeiterin der Kreuzberg-Museums die interessierten Besucher mitnahm. Mein Aufenthaltsort während ihrer sehr interessanten Ausführungen war denkbar unbequem. Mit (noch vom Vortag) müden Füßen, bepackt mit Tasche, Kameratasche und Stativ, lehnte ich unterhalb des Fensters an der Heizung. Zu gerne hätte ich mein Gepäck beiseite gelegt, mich im Schneidersitz auf den Boden gesetzt und die Museumsmitarbeiterin wie früher die Märchen erzählende Kindergärtnerin gespannt angeblickt.
Die Reise durch die Geschichte begann bei der Errichtung Bethaniens zwischen 1845 und 1847. Es wurde von der ersten Oberin berichtet, der selbstbewussten Marianne von Rantzau. Von dem Kampf um Anerkennung als Krankenpflegeanstalt bei den skeptischen Berlinern, welche die Betschwestern nicht für voll nahmen. Erschwerend für die Entwicklung Bethaniens und den Leumund der Diakonissen waren nicht wenige Todesfälle. Die Schwestern pflegten benutztes Verbandmaterial im Luisenstädtischen Kanal zu waschen. Als daraufhin die ersten Todesfälle in Bethanien zu beklagen waren, wurden die Verbände noch gründlicher ausgewaschen, ehe sie den Patienten auf die Wunden gelegt wurden. Das Ergebnis war fatal.
Es wurde von Fontane und seiner Ausbildung der Diakonissen zu Apothekerinnen erzählt und dabei auch die Anekdote von Fontanes Geburtstagsbesäufnis wiedergegeben (die schließlich in der Geistersichtung endete).
Die Geschichtsreise ging weiter und erzählte von der Zeit des Nationalsozialismus. Von dem Pfarrer mit jüdischen Vorfahren, der in letzter Minute seiner Deportation entging und nach England entfloh. Von mutigen Diakonissen, die jüdischen Bürgern das Leben retteten, in dem sie sie wie jeden anderen Patienten auch ins Krankenbett legten. Jude oder Christ - in Bethanien galten alle nur als Patienten.
Bethanien schloss 1970. Kein Jahr später kamen die Hausbesetzer. Das ehemalige Diakonissen-Wohnhaus Martha-Maria wurde ihr Domizil und erhielt den Namen Georg-von-Rauch-Haus. Die Museumsmitarbeiterin schilderte sehr nachvollziehbar, wie damals politisch interessierte Studenten überlegten, ob sie in den Untergrund gehen sollten oder nicht. Bethanien nunmehr das Tor zu terroristischen Strukturen à la RAF? Nun ja, Hausbesetzer, Aktivisten, Kommunarden, Stadt-Guerillas - Teufel ist tot und die anderen wirken auch nicht mehr taufrisch.
In der Gegenwart beschäftigt Bethanien anderweitig. Neue Nutzungskonzepte, Privatisierung, Bürgerbegehren, die kurzzeitige Unterbringung (oder gar Besetzung?) einiger Romas. Bethanien schreibt noch immer Geschichte.
Ein Geist wollte sich mir übrigens nicht zeigen. Es sei denn, der Mann, der reichlich unkoordiniert über die Flure schlich, war gar kein Künstler, der zu viel Lack eingeatmet oder schlichtweg ordentlich gekifft hatte, sondern etwas ganz anderes...
Gute Nacht da draußen - was immer Du sein magst!  ^''^

22. September 2010

Luftschutzstollenmusteranlage

Rost / Rust
Tag 2 des offenen Denkmals.
Wäre das Erkunden des Berliner Untergrunds nur mit Abenteuerlust und Geschichtsinteresse verbunden, könnte ich mir eine ehrenamtliche Mitarbeit beim Verein Berliner Unterwelten e.V. durchaus vorstellen. Doch leider vermiesen so einige Dinge die ich so rein gar nicht mag (wie z.B. Spinnen, Gestank, enge Räume) den Spaß. Pech für mich. Aber dafür bieten die Berliner Unterweltler ja dann und wann Führungen an Orte an, die ziemlich aufgeräumt wirken.
Wie kaum eine andere Ecke Berlins umgibt die Kreuzberger Friesenstraße eine Aura von Preußentum und Militarismus. Beim Betrachten der Ziegelsteinfassaden der alten Kasernengebäude drängt sich der Gedanke auf: wenn diese Mauern sprechen könnten.
1895 begann die Errichtung der Anlagen für das Garde-Kürassier-Regiment und das Kaiserin-Augusta-Garde-Grenadier-Regiment. Bis zum heutigen Tage zeugen viele Spuren von dieser preußischen Militäreinrichtung.
Seit den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts ist die Polizei in der alten Kaserne untergebracht. Nach der Machtübergreifung der Nationalsozialisten annektierten die Reichsanstalt für Luftschutz, die Reichsluftschutzschule und die Luftpolizeischule  die Anlage. Die alte Militärarrestanstalt auf der gegenüberliegenden Straßenseite des Columbiadamms erlangte traurige Berühmtheit als (wildes) KZ Columbiahaus.
Nach dem Krieg kamen die amerikanischen Alliierten, übergaben die alte Kaserne aber alsbald zurück an die Polizei. Heute hat die Direktion 5 in der Friesenstraße ihren Standort.
Zwischen 1936 und 1938 wurde von acht Firmen im Kasernenhof  der Luftschutzmusterstollen errichtet. Acht hintereinander liegende Stollen unterschiedlicher Bauart hatten das Ziel, Kommunalvertretern, Firmeninhabern, aber auch (entsprechend gut betuchten) Privatpersonen scheinbare Sicherheit zu verhökern.
Seit Kriegsende dienten die Stollen der Polizei als Schießstand und Lagerräume, ehe sie in Vergessenheit gerieten.
Im Jahre 2000 wurden die Stollen wiederentdeckt und werden seither von dem Verein Berliner Unterwelten e.V. betreut.
Kühl ist es dort unten und die Luft ist feucht. Doch es fehlen die muffigen Gerüche und das klaustrophobische Gefühl, obwohl wesentlich mehr Personen als ursprünglich angemeldet zur Führung in den Untergrund gingen.
Beeindruckend fand ich die Dokumentation mittels Bildmaterial. Auf einer Fotografie war dargestellt, wie sich die Machthaber denn ihr Sicherheitskonzept vorgestellt hatten: akkurat in Reih und Glied saßen sie da, die Muttis mit ihrer herrenvölkischen Nachzucht, Gepäck und Kinderwagen ordentlich zusammengestellt, die Gesichter entspannt und zu einem Lächeln verzogen. Ein eindeutiges Indiz, dass dieses Foto gestellt war; beim echten Bombenalarm war es mit dem blöden Grinsen vorbei, herrschte die nackte Angst.
Wie sinnlos die Errichtung der meisten vorgestellten Anlagen war, verdeutlicht die Tatsache, dass diese Luftschutzräume Typ Serienanfertigung nur wenige Zentimeter unter der Erde verbuddelt wurden.
Trotzdem blieb bei mir die Frage, wie sich das angefühlt haben muss, in einem solchen Luftschutzstollen während der Bombardierung Berlins. Zitterte die Erde, wie viel war von der Bombardierung zu hören? Unwissenheit ist manchmal ein Segen.
Ein Gefühl der Sicherheit erweckten diese Stollen - egal welchen Bautyps - sicher nicht.
LS-Stollen

Gute Nacht da draußen - was immer Du sein magst!  ^''^

20. September 2010

Stadtbad Steglitz

Da ging er noch weiter, und alles war so still, dass einer seinen Atem hören konnte, und endlich kam er zu dem Turm und öffnete die Türe zu der kleinen Stube, in welcher Dornröschen schlief. Da lag es und war so schön, dass er die Augen nicht abwenden konnte, und er bückte sich und gab ihm einen Kuss.
aus Dornröschen von den Gebrüdern Grimm




Direkt in meiner Nachbarschaft schlummert Dornröschen und wartet auf den wackeren Prinzen.
Ich bin schon mehrfach an dem Stadtbad Steglitz vorbei gekommen. Jedes Mal war ich neugierig und wollte das alte Bad näher in Augenschein nehmen. Doch obwohl mich das Schild des Cafés Freischwimmer regelrecht einlud, habe ich mich niemals näher auf Entdeckungstour begeben.
Mit dem Tag des offenen Denkmals konnte ich schließlich meine Neugier stillen.
Das alte Stadtbad Steglitz liegt etwas versteckt hinter einem wesentlich unspektakulären Neubau. Beim Näherkommen kann man bereits einen Blick durch die Fenster in die Schwimmhalle erhaschen, in der aber leider schon seit geraumer Zeit nicht mehr geschwommen wird.
Im Jahre 1908 eröffnete das Stadtbad. Die Schwimmhalle war zunächst den Herren der Schöpfung vorbehalten. Es gab Pläne - und auch den Raum - um eine kleinere Schwimmhalle für die Damenwelt zu errichten, doch dazu kam es nie.
Recht düster muss sie damals gewesen sein, die Schwimmhalle. Zwar war der gesamte Saal mit einer Bleiglaskuppel überdacht, doch diese sorgte nur bei heiterstem Sonnenschein für entsprechende Helligkeit. Große Kugelleuchten waren quer über dem Becken angebracht, doch auch diese konnten die Halle wohl nicht allzu sehr erhellen. Das Interieur, das damals überwiegend in gedeckten Farbtönen gehalten war, tat ihr Übriges hinzu, um im Schwimmbad eher Kuschelatmosphäre zu schaffen.
Ein russisch-römisches Dampfbad gehörte zum Schwimmbad dazu, genauso wie die - wohl etwas später eingerichtete - Wannen- und Brauseabteilung.
Während der Weltkriege blieb das Bad geschlossen und wurde zeitweise zweckentfremdet.
Erst nach dem 2. Weltkrieg erlebte das alte Stadtbad eine Renaissance und diente wieder dem nassen Vergnügen, diesmal für Männlein wie für Weiblein.
Leider wurde das Bad dafür dem Zeitgeschmack und der Zweckmäßigkeit angepasst. Umbauten wurden ohne Rücksicht auf Verluste, bzw. Denkmalschutzaspekte durchgeführt. Das Glasdach verschwand, die Einrichtung in der Schwimmhalle wurde heller - aber sicher keineswegs schöner - umgestaltet. Umkleidekabinen zu beiden Seiten des Beckens wurden mittels schnöden hellgrauen Kachelwänden eingebaut.
1982 wurde das Bad unter Denkmalschutz gestellt. Seinem - vorläufigen - Ende konnte es dadurch jedoch nicht entgehen. 2002 schloss das Stadtbad Steglitz seine Pforten.
Doch es gibt zum Glück mutige Menschen mit Passion: auf Gabriele Berger scheint das zuzutreffen. Sie kaufte das Schwimmbad vom Liegenschaftsamt. Und sie hat den Traum und den festen Willen, das Schwimmbad wieder zu dem zu machen, wofür es einstmals errichtet wurde.
Der Weg dahin ist lang und steinig und Frau Berger muss sich beinahe wie Don Quijote im Kampf gegen die Windmühle fühlen.
Ohne schnöden Mammon ist der Kampf nicht gewinnen und die Summe von rund fünf Millionen Euro schreckt jeden Investor und Banker ab. In Zeiten von Wirtschaftsflaute und Bankenkrise kommen die drei Nutzungskonzepte Schwimmbad, Theater und Gastronomie nicht wirklich bei potenziellen Geldgebern an. Schade eigentlich. Sehr schade!
Doch ist Traum deswegen ausgeträumt? Sicher nicht! Gabriele Berger kämpft. Das alte Bad dient derzeit als Theater, Konzertsaal und Veranstaltungsort. Da die alte Heizungsanlage nicht nur marode, sondern ihr Betrieb schier unbezahlbar ist, liegen im Bad stets Decken aus und dem Besucher wird an kühleren Tagen wärmstens empfohlen, sich etwas dicker für den Kulturgenuss anzuziehen. Alles eine Frage der Improvisation.
Ein Laternengesäumtes Portal führt in das Innere des Stadtbads. Gleich gegenüber fällt der Blick auf das alte Kassenhäuschen. Nach links führt eine Treppe in die Schwimmhalle, nach rechts in ein eingemietetes Fitnesscenter. Dunkelgrüne Frakturschriften benennen die Ziele (was zumindest beim Anglizismus etwas zum Schmunzeln anregt).
Die Führung durch das Stadtbad machte die Hausherrin persönlich.
Es sieht etwas bizarr aus, wie die Stühle und Sessel im Halbkreis im Schwimmbecken stehen, aber es hat etwas. Und was für ein Bild muss sich erst bieten, wenn sich an manchen Abenden Tangotänzer durch das Schwimmbecken bewegen?
Auch das alte Dampfbad fungiert als Bühne. Das alte Saunabecken ist mit einem Gitterrost versehen, welches Unfälle der Akteure einerseits verhindern soll und eine wunderbare Requisite anderseits abgibt (wie z.B. für Kafkas Der Prozess, wenn das vergitterte Becken kurzerhand zum Gefängnis umgewandelt wird). Und während die Besucher sich auf den alten Ruhebänken unter den - nachträglich eingebauten Duschköpfen - niederlassen, fällt ihr Blick auf das wunderschönschöne Wandmosaik der Venus (siehe Bild oben).
Während der Führung erforschten wir die alte Wannen- und Brauseabteilung, die nun als Garderobe dient. Weiter ging es durch die Katakomben des Bades, die Maschinenräume, Heizungsanlagen und Lagerräume. Diese Teile des Bades werden ebenfalls gerne in die Theateraufführungen miteingebunden.
Zum Bad gehört auch eine alte Wäscherei, mitsamt Nähräumen, in denen uns Frau Berger einen uralten Trocknerschrank vorführte. Hier stellte Frau Berger auch ihr Personal vor, den höchst sympathischen Waschschutz - der die von krimineller Energie freien Besucher freundlich anwedelte - und den Kammerjäger, der sich bestens mit seinem Kollegen von der Sicherheit zu verstehen scheint (hier funktioniert sie also, die Mitarbeitermotivation!).
Der Besuch im Stadtbad war für mich das Highlight des Wochenendes der geöffneten Denkmale.
Künftig werde ich nicht mehr zögernd an dem alten Bad vorbei gehen, sondern meinen Latte macchiato im liebenswerten Ambiente des Cafés Freistil genießen.
Gute Nacht da draußen - was immer Du sein magst!  ^''^

19. September 2010

Haus Garbe

Spirale
Die Frankfurter Allee war einstmals eine Prachtstraße. Leider ist davon kaum mehr etwas zu erkennen. Die berühmten Häuser, die sich an die "Leuchttürme des Sozialismus", die Türme des Frankfurter Tores, anschließen, haben definitiv bessere Zeiten gesehen. Stalinallee hieß der Boulevard zu seinen Prachtzeiten. Heute ist die Straße eine viel befahrene, mehrspurige Strecke, an den alten Prachtbauten im Stile des sozialistischen Klassizismus bröckelt gehörig der Putz. Und dennoch: ein bisschen weht das Flair einer Avenue des Champs-Élysées dem Fußgänger entgegen, wenn er unter den Schatten spendenden Bäumen der breiten Bürgersteige flaniert.
Mein Ziel liegt in geringer Entfernung der berühmten Wohnhäuser der ehemaligen Stalinallee: Haus Garbe, ein Wohnhaus mit zwei dahinter liegenden Gewerbehäusern im Jugendstil, beherbergt heute ein Drogentherapiezentrum.
Die Außenansicht wirkt nichtsagend. Eine schokobraune öde Putzfassade, ohne jedweden Zierrat. Einzig am Giebel prangt als Wappen des Erbauers eine Garbe.
Über den Hof gelange ich zu den ehemaligen Gewerbegebäuden. Diese sehen schon etwas mehr nach Jugendstil aus, auch wenn ihre helle Klinkerfassade doch ausschaut, wie so viele Industriebauten aus der Zeit.
Wenig später erfahre ich, dass ursprünglich holzverarbeitende Betriebe in den hinteren Gebäuden angesiedelt waren. Zu Zeiten der DDR waren Möbellager dort untergebracht. Heute sind in den unteren Etagen wieder Werkstätten zu finden, in denen Bewohner der Wohngruppen in den Stockwerken darüber, agieren können. Über den Dächern dieser Gewerbehäuser befindet sich Deutschlands kleinstes Krankenhaus, in dem Drogenabhängige entgiftet werden.
Das ganze Ensemble trägt die Handschrift des Maurers Oskar Garbe, der dem Architekten Hans Liepe im Jahre 1906 den Auftrag zum Entwurf gab. Maurermeister Garbe muss sich beim Bau richtig ausgetobt haben; geradezu wie Spielerei wirken seine versetzten Fensterfronten und -formen von der Rückseite des Vorderhauses betrachtet.
Im Inneren dieses Wohnhauses, in dem heute die Verwaltung des Drogentherapiezentrums untergebracht ist, zeigen sich dann auch die wunderschönen Elemente des Jugendstils.
Das Erdgeschoss des Hausflures zieren Rosengirlanden.
Der originale Aufzug fasst maximal drei Personen und lässt vermutlich jeden nostalgisch angehauchten Technikfreak in Freudentränen ausbrechen.
In einigen Etagen sind noch die ursprünglichen goldgelben Bleiverglasungen vorhanden, die das Treppenhaus in ein warmes Licht hüllen.
Alle Wohnungstüren sind mit Intarsien versehen, die neben figürlichen Darstellungen auch die jeweilige Etage anzeigen.
Das Schmuckstück schlechthin bildet die Beletage: die Neun-Zimmer-Wohnung der Familie Garbe. Die Stuckaturen zeigen sowohl Blumenarrangements, als auch figürliche Darstellungen (Köpfe mit sehr interessantem Mienenspiel). Der ehemalige Speisesaal bildet den Höhepunkt: Schnitzwerk, Spruchbänder und Deckenmalereien lassen den Raum beinahe an einen Thronsaal erinnern. Die kunstvollen Tierkreiszeichen scheinen ein kleiner Wink in Richtung Freimaurertum zu sein. Dieses Gesamtkunstwerk musste nach dem Fall der Mauer erst geborgen werden, fantasielose Banausen hatten die wunderschöne Decke kurzerhand unter hässlichen Paneelen versteckt.
Meine Impression entstammt dem Gesindetrakt in einem höheren Stockwerk. Das Personal nutzte damals natürlich nicht das herrschaftliche Treppenhaus mit seinem technischen Wunderwerk von Lift, sondern den eigens vorgesehenen Dienstbotenaufgang mit dieser Drehschwindel garantierenden Wendeltreppe.
Nur zwei Häuser (die Hinterhäuser klammere ich bei dieser Rechnung mal aus) aus der damaligen Zeit haben die Bombardierungen des 2. Weltkrieges überstanden. Wie es dieses Kleinod jedoch geschafft hat, auch den "real existierenden Sozialismus" zu überdauern, in dem gerne alles was irgendwie hochtrabend und herrschaftlich wirkte, rücksichtslos platt gemacht wurde, ist mir schleierhaft.

Gute Nacht da draußen - was immer Du sein magst!  ^''^

18. September 2010

OP-Bunker Teichstraße

Mir genüber gähnt die Halle,
Grauen Tores, hohl und lang,
Drin mit wunderlichem Schalle
O Langsam dröhnt ein schwerer Gang;
aus "Das alte Schloss" von Annette von Droste-Hülshoff

Patienteneingang OP-Bunker Teichstraße

Gleich bei meinem ersten Denkmal wurde ich etwas enttäuscht: kaum hatte ich mit den anderen Besuchern das Innere des Bunkers betreten, und die Kamera im Anschlag, untersagte uns eine freundliche Stimme das Fotografieren. Die Eigentumsrechte des Inventars seien noch nicht ganz geklärt, hieß es. Ich vermute, der Grund ist anderer Natur: die Führung durch den Bunker soll eher pädagogischen Charakter haben und nicht Sensationsgelüste stillen. Wer weiß, wozu einige Aufnahmen dienen könnten? Nazi-Memorabilien?
Nun, egal. Eine Aufnahme gelang mir, den Rest muss die Vorstellungskraft des Lesers erledigen.
Aber erstmal ein kleiner Ausflug in die Geschichte:
1910 eröffnete das Städtische Krankenhaus Reinickendorf seine Pforten. Nach 1933 erhielt die Klinik den Namen Erwin-Lieck-Krankenhaus. Im Dezember 1941 wurde per Beschluss mit der Errichtung eines Bunkers begonnen, der für Notoperationen während der Zeit der Bombenalarme dienen sollte. Direkt dem Chirurgiepavillon gegenüber entstand besagter Bunker, der bis zum Kriegsende auch rege genutzt wurde. Nach dem Ende der Nazidiktatur erhielt das Krankenhaus den ehrenvolleren Namen Humboldt-Krankenhaus, ehe die Klinik 1985 in den Nordgraben umzog. Das Bezirksamt Reinickendorf zog in die alten Gebäude ein. Der Bunker war längst dem Vergessen anheim gefallen und wäre sicherlich immer noch vergessen, hätte nicht eine Mitarbeiterin des Bezirksamtes dem Verein Berliner Unterwelten e.V. einen Tipp gegeben.
Die Unterweltler staunten nicht schlecht, als sie den Bunker inspizierten; sie fanden eine beinahe komplett erhaltene Anlage vor, bei der auch die Technik nahezu funktionstüchtig war (was sicherlich primär dem Engagement und der technischen Hingabe des betreuenden Unterweltlers zu schulden ist).
Das unheimlichste an dem OP-Bunker ist die Tatsache, dass er fast so wirkt, als wäre er noch immer in Betrieb. Ich hatte wahrlich das Gefühl, einen Zeitsprung gemacht zu haben, als ich durch die Anlage geführt wurde.
Das obige Bild zeigt die Patientenschleuse, die vom Keller des Chirurgiepavillons in den Bunker führt.
Im Bunker angelangt, macht der Gang einen Knick, dahinter führt eine Stahltür durch die Gasschleuse. Hinter der Schleusentür betritt man einen Vorraum, von dem drei Räume abgehen: der Maschinenraum, eine kleine Kammer (Umkleide?) und der OP-Vorbereitungsraum. Dieser Raum ist komplett gekachelt und (wie die übrige Räume auch) perfekt rekonstruiert worden. Altertümliche Vitrinen sind aufgestellt, eine Patientenliege dominiert den Raum, daneben geben Fenster über Waschbecken, an denen sich das Personal wusch und desinfizierte, Einblicke in den dahinter liegenden OP-Saal. Ein kleiner Aufwachraum befindet sich neben der Eingangstür in den Vorbereitungsraum, daneben weist eine türlose (wohl ehemals mit einem Vorhang versehende) Öffnung den Weg in den OP-Saal.
Der Besucher fällt fast über den alten gynäkologischen Stuhl, der direkt hinter dem Eingang aufgestellt wurde und sicherlich nicht zur ursprünglichen Einrichtung zählt (der Bunker in der Teichstraße diente Operationen, doch es gab auch etliche Kreiß-Bunker). Nebenan steht ein OP-Tisch aus der damaligen Zeit, komplett mit Vorrichtungen für die früher übliche Äthernarkose, an der sogar der berühmte Professor Sauerbruch höchstselbst zum Skalpell gegriffen haben soll. Der OP-Saal ist dunkelblau gekachelt, zwei alte OP-Lampen tauchen den Raum in ein unheimliches Licht. Vitrinen grenzen den OP-Saal vom daneben liegenden Raum ab, der Sterilisation. Hier wurden die Instrumente gereinigt, im Dampfsterilisator von Keimen befreit und in die Vitrinen gelegt, die sowohl vom Sterilisationsraum, als auch aus dem OP-Saal geöffnet werden können. Stolz führte uns der Betreuer des Bunkers seine Sammlung medizinischer Instrumente vor und erwähnte, dass er mit diesem Equipment wohl jede Operation durchführen könne.
Ein weiterer Raum mit Sanitäranlagen komplettiert den Bunker.
Teilweise von der Decke wachsende Stalaktiten machen das Gruselgefühl komplett, das erst das erleichternde Durchatmen zurück an der frischen Luft, an einem spätsommerlichen Tag in einem friedlichen Berlin, tilgt.
OP-Bunker Teichstraße

Gute Nacht da draußen - was immer Du sein magst!  ^''^

Tag des offenen Denkmals

Jedes Jahr stehe ich erneut vor der kniffligen Frage: welches Denkmal erkunde ich?
Die Liste der Angebote ist stets eine Herausforderung. Die vielen Denkmale, die alleine für Berlin aufgelistet sind, stellen mich alljährlich vor die Qual der Wahl.
Da hilft es kaum, dass sich der "Tag des offenen Denkmals" über ein ganzes Wochenende zieht. Es gilt jedes Mal aufs Neue: Stadtplan betrachten, rechnen, abwägen, auswählen und ggf. anmelden.
Nun gut, schweren Herzens habe ich auch in diesem Jahr einige lohnenswerte Ziele von der Liste gestrichen. Ein weiterer Punkt entfiel am Samstag zusätzlich, da mir meine müden Füße keinen weiteren Schritt mehr tun wollten.
Nachfolgend nun die Denkmale, die ich erkunden und fotografieren konnte, nebst etwas Geschichte.

14. September 2010

Erlesenes (II)

Über meine Begeisterung für geisterhafte Geschichten hatte ich mich bereits geäußert. Und auch mein zweiter Buchtipp lehnt sich an dieses Genre an.
Die Gespenster von Berlin von Sarah Khan
Dokumentation oder fiktiver Roman? Das bleibt der Sichtweise des Lesers überlassen.
Die Autorin präsentiert Erzählungen und Interviews mit Geistersehern und Geistern und führt dabei quer durch Berlin und seine Geschichte(n), liefert aber auch Spukgeschichten aus dem Umland.
Geistergeschichten passen nach London, aber doch nicht nach Berlin. In Greenwich gehört ein Hausgeist unbedingt zu einem aparten Gebäude dazu, doch in Schöneberg ist der gemeine Deutsche für derlei Übersinnliches viel zu spröde.
Weit gefehlt.
In Berlin tauchen Geister an Orten auf, wo man sie vermutlich am wenigsten vermutet. Im Künstlerhaus Bethanien beispielsweise.
Sarah Khan präsentiert sie, die ruhelosen Seelen der Hauptstadt.
Und schon das Eingangskapitel Gläserrücken mit der Stasi macht Lust auf mehr - viel mehr!
Website von Sarah Khan

Gute Nacht da draußen - was immer Du sein magst!  ^''^