23. September 2010

Fontane-Apotheke

Der Zauber steckt immer im Detail.
Theodor Fontane

Fontanes Apotheke / Fontane's pharmacy

Es soll dort spuken, im alten Bethanien. Sarah Khan widmet Bethanien ein ganzes Kapitel in Die Gespenster von Berlin (siehe hier).
Friedlich und pittoresk wirkt das alte Diakonissenkrankenhaus. Eine kleine Eisdiele, ein Restaurant, ein paar Ateliers und inzwischen auch einige Firmen befinden sich dort, wo bis vor wenigen Jahren noch Künstler das Haus besetzt hielten und ehedem Kranke gepflegt wurden.
In der äußerstersten Ecke des Ostflügels befindet sich die Fontane-Apotheke. Hier arbeitete der Schriftsteller, Poet und Wanderer Theodor Fontane in den Revolutionsjahren 1848/1849 und bildete Diakonissen im Beruf des Apothekers aus. Über seine Zeit in Bethanien hat Fontane in der Autobiografie Von Zwanzig bis Dreißig geschrieben (und dabei auch seine kleine Geisterbegegnung in Bethanien wiedergegeben).
Die Apotheke sieht ganz so aus als hätte sie die Zeit, in der Fontane hier tätig war, überdauert. Die Regale und Medizinschränke sind voll mit Fläschchen, auf deren Etiketten in altdeutscher Handschrift der Inhalt vermerkt ist.
Leider kam ich ein paar Minuten zu spät zu der Geschichtsexkursion, auf die eine Mitarbeiterin der Kreuzberg-Museums die interessierten Besucher mitnahm. Mein Aufenthaltsort während ihrer sehr interessanten Ausführungen war denkbar unbequem. Mit (noch vom Vortag) müden Füßen, bepackt mit Tasche, Kameratasche und Stativ, lehnte ich unterhalb des Fensters an der Heizung. Zu gerne hätte ich mein Gepäck beiseite gelegt, mich im Schneidersitz auf den Boden gesetzt und die Museumsmitarbeiterin wie früher die Märchen erzählende Kindergärtnerin gespannt angeblickt.
Die Reise durch die Geschichte begann bei der Errichtung Bethaniens zwischen 1845 und 1847. Es wurde von der ersten Oberin berichtet, der selbstbewussten Marianne von Rantzau. Von dem Kampf um Anerkennung als Krankenpflegeanstalt bei den skeptischen Berlinern, welche die Betschwestern nicht für voll nahmen. Erschwerend für die Entwicklung Bethaniens und den Leumund der Diakonissen waren nicht wenige Todesfälle. Die Schwestern pflegten benutztes Verbandmaterial im Luisenstädtischen Kanal zu waschen. Als daraufhin die ersten Todesfälle in Bethanien zu beklagen waren, wurden die Verbände noch gründlicher ausgewaschen, ehe sie den Patienten auf die Wunden gelegt wurden. Das Ergebnis war fatal.
Es wurde von Fontane und seiner Ausbildung der Diakonissen zu Apothekerinnen erzählt und dabei auch die Anekdote von Fontanes Geburtstagsbesäufnis wiedergegeben (die schließlich in der Geistersichtung endete).
Die Geschichtsreise ging weiter und erzählte von der Zeit des Nationalsozialismus. Von dem Pfarrer mit jüdischen Vorfahren, der in letzter Minute seiner Deportation entging und nach England entfloh. Von mutigen Diakonissen, die jüdischen Bürgern das Leben retteten, in dem sie sie wie jeden anderen Patienten auch ins Krankenbett legten. Jude oder Christ - in Bethanien galten alle nur als Patienten.
Bethanien schloss 1970. Kein Jahr später kamen die Hausbesetzer. Das ehemalige Diakonissen-Wohnhaus Martha-Maria wurde ihr Domizil und erhielt den Namen Georg-von-Rauch-Haus. Die Museumsmitarbeiterin schilderte sehr nachvollziehbar, wie damals politisch interessierte Studenten überlegten, ob sie in den Untergrund gehen sollten oder nicht. Bethanien nunmehr das Tor zu terroristischen Strukturen à la RAF? Nun ja, Hausbesetzer, Aktivisten, Kommunarden, Stadt-Guerillas - Teufel ist tot und die anderen wirken auch nicht mehr taufrisch.
In der Gegenwart beschäftigt Bethanien anderweitig. Neue Nutzungskonzepte, Privatisierung, Bürgerbegehren, die kurzzeitige Unterbringung (oder gar Besetzung?) einiger Romas. Bethanien schreibt noch immer Geschichte.
Ein Geist wollte sich mir übrigens nicht zeigen. Es sei denn, der Mann, der reichlich unkoordiniert über die Flure schlich, war gar kein Künstler, der zu viel Lack eingeatmet oder schlichtweg ordentlich gekifft hatte, sondern etwas ganz anderes...
Gute Nacht da draußen - was immer Du sein magst!  ^''^

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