19. September 2010

Haus Garbe

Spirale
Die Frankfurter Allee war einstmals eine Prachtstraße. Leider ist davon kaum mehr etwas zu erkennen. Die berühmten Häuser, die sich an die "Leuchttürme des Sozialismus", die Türme des Frankfurter Tores, anschließen, haben definitiv bessere Zeiten gesehen. Stalinallee hieß der Boulevard zu seinen Prachtzeiten. Heute ist die Straße eine viel befahrene, mehrspurige Strecke, an den alten Prachtbauten im Stile des sozialistischen Klassizismus bröckelt gehörig der Putz. Und dennoch: ein bisschen weht das Flair einer Avenue des Champs-Élysées dem Fußgänger entgegen, wenn er unter den Schatten spendenden Bäumen der breiten Bürgersteige flaniert.
Mein Ziel liegt in geringer Entfernung der berühmten Wohnhäuser der ehemaligen Stalinallee: Haus Garbe, ein Wohnhaus mit zwei dahinter liegenden Gewerbehäusern im Jugendstil, beherbergt heute ein Drogentherapiezentrum.
Die Außenansicht wirkt nichtsagend. Eine schokobraune öde Putzfassade, ohne jedweden Zierrat. Einzig am Giebel prangt als Wappen des Erbauers eine Garbe.
Über den Hof gelange ich zu den ehemaligen Gewerbegebäuden. Diese sehen schon etwas mehr nach Jugendstil aus, auch wenn ihre helle Klinkerfassade doch ausschaut, wie so viele Industriebauten aus der Zeit.
Wenig später erfahre ich, dass ursprünglich holzverarbeitende Betriebe in den hinteren Gebäuden angesiedelt waren. Zu Zeiten der DDR waren Möbellager dort untergebracht. Heute sind in den unteren Etagen wieder Werkstätten zu finden, in denen Bewohner der Wohngruppen in den Stockwerken darüber, agieren können. Über den Dächern dieser Gewerbehäuser befindet sich Deutschlands kleinstes Krankenhaus, in dem Drogenabhängige entgiftet werden.
Das ganze Ensemble trägt die Handschrift des Maurers Oskar Garbe, der dem Architekten Hans Liepe im Jahre 1906 den Auftrag zum Entwurf gab. Maurermeister Garbe muss sich beim Bau richtig ausgetobt haben; geradezu wie Spielerei wirken seine versetzten Fensterfronten und -formen von der Rückseite des Vorderhauses betrachtet.
Im Inneren dieses Wohnhauses, in dem heute die Verwaltung des Drogentherapiezentrums untergebracht ist, zeigen sich dann auch die wunderschönen Elemente des Jugendstils.
Das Erdgeschoss des Hausflures zieren Rosengirlanden.
Der originale Aufzug fasst maximal drei Personen und lässt vermutlich jeden nostalgisch angehauchten Technikfreak in Freudentränen ausbrechen.
In einigen Etagen sind noch die ursprünglichen goldgelben Bleiverglasungen vorhanden, die das Treppenhaus in ein warmes Licht hüllen.
Alle Wohnungstüren sind mit Intarsien versehen, die neben figürlichen Darstellungen auch die jeweilige Etage anzeigen.
Das Schmuckstück schlechthin bildet die Beletage: die Neun-Zimmer-Wohnung der Familie Garbe. Die Stuckaturen zeigen sowohl Blumenarrangements, als auch figürliche Darstellungen (Köpfe mit sehr interessantem Mienenspiel). Der ehemalige Speisesaal bildet den Höhepunkt: Schnitzwerk, Spruchbänder und Deckenmalereien lassen den Raum beinahe an einen Thronsaal erinnern. Die kunstvollen Tierkreiszeichen scheinen ein kleiner Wink in Richtung Freimaurertum zu sein. Dieses Gesamtkunstwerk musste nach dem Fall der Mauer erst geborgen werden, fantasielose Banausen hatten die wunderschöne Decke kurzerhand unter hässlichen Paneelen versteckt.
Meine Impression entstammt dem Gesindetrakt in einem höheren Stockwerk. Das Personal nutzte damals natürlich nicht das herrschaftliche Treppenhaus mit seinem technischen Wunderwerk von Lift, sondern den eigens vorgesehenen Dienstbotenaufgang mit dieser Drehschwindel garantierenden Wendeltreppe.
Nur zwei Häuser (die Hinterhäuser klammere ich bei dieser Rechnung mal aus) aus der damaligen Zeit haben die Bombardierungen des 2. Weltkrieges überstanden. Wie es dieses Kleinod jedoch geschafft hat, auch den "real existierenden Sozialismus" zu überdauern, in dem gerne alles was irgendwie hochtrabend und herrschaftlich wirkte, rücksichtslos platt gemacht wurde, ist mir schleierhaft.

Gute Nacht da draußen - was immer Du sein magst!  ^''^

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