20. September 2010

Stadtbad Steglitz

Da ging er noch weiter, und alles war so still, dass einer seinen Atem hören konnte, und endlich kam er zu dem Turm und öffnete die Türe zu der kleinen Stube, in welcher Dornröschen schlief. Da lag es und war so schön, dass er die Augen nicht abwenden konnte, und er bückte sich und gab ihm einen Kuss.
aus Dornröschen von den Gebrüdern Grimm




Direkt in meiner Nachbarschaft schlummert Dornröschen und wartet auf den wackeren Prinzen.
Ich bin schon mehrfach an dem Stadtbad Steglitz vorbei gekommen. Jedes Mal war ich neugierig und wollte das alte Bad näher in Augenschein nehmen. Doch obwohl mich das Schild des Cafés Freischwimmer regelrecht einlud, habe ich mich niemals näher auf Entdeckungstour begeben.
Mit dem Tag des offenen Denkmals konnte ich schließlich meine Neugier stillen.
Das alte Stadtbad Steglitz liegt etwas versteckt hinter einem wesentlich unspektakulären Neubau. Beim Näherkommen kann man bereits einen Blick durch die Fenster in die Schwimmhalle erhaschen, in der aber leider schon seit geraumer Zeit nicht mehr geschwommen wird.
Im Jahre 1908 eröffnete das Stadtbad. Die Schwimmhalle war zunächst den Herren der Schöpfung vorbehalten. Es gab Pläne - und auch den Raum - um eine kleinere Schwimmhalle für die Damenwelt zu errichten, doch dazu kam es nie.
Recht düster muss sie damals gewesen sein, die Schwimmhalle. Zwar war der gesamte Saal mit einer Bleiglaskuppel überdacht, doch diese sorgte nur bei heiterstem Sonnenschein für entsprechende Helligkeit. Große Kugelleuchten waren quer über dem Becken angebracht, doch auch diese konnten die Halle wohl nicht allzu sehr erhellen. Das Interieur, das damals überwiegend in gedeckten Farbtönen gehalten war, tat ihr Übriges hinzu, um im Schwimmbad eher Kuschelatmosphäre zu schaffen.
Ein russisch-römisches Dampfbad gehörte zum Schwimmbad dazu, genauso wie die - wohl etwas später eingerichtete - Wannen- und Brauseabteilung.
Während der Weltkriege blieb das Bad geschlossen und wurde zeitweise zweckentfremdet.
Erst nach dem 2. Weltkrieg erlebte das alte Stadtbad eine Renaissance und diente wieder dem nassen Vergnügen, diesmal für Männlein wie für Weiblein.
Leider wurde das Bad dafür dem Zeitgeschmack und der Zweckmäßigkeit angepasst. Umbauten wurden ohne Rücksicht auf Verluste, bzw. Denkmalschutzaspekte durchgeführt. Das Glasdach verschwand, die Einrichtung in der Schwimmhalle wurde heller - aber sicher keineswegs schöner - umgestaltet. Umkleidekabinen zu beiden Seiten des Beckens wurden mittels schnöden hellgrauen Kachelwänden eingebaut.
1982 wurde das Bad unter Denkmalschutz gestellt. Seinem - vorläufigen - Ende konnte es dadurch jedoch nicht entgehen. 2002 schloss das Stadtbad Steglitz seine Pforten.
Doch es gibt zum Glück mutige Menschen mit Passion: auf Gabriele Berger scheint das zuzutreffen. Sie kaufte das Schwimmbad vom Liegenschaftsamt. Und sie hat den Traum und den festen Willen, das Schwimmbad wieder zu dem zu machen, wofür es einstmals errichtet wurde.
Der Weg dahin ist lang und steinig und Frau Berger muss sich beinahe wie Don Quijote im Kampf gegen die Windmühle fühlen.
Ohne schnöden Mammon ist der Kampf nicht gewinnen und die Summe von rund fünf Millionen Euro schreckt jeden Investor und Banker ab. In Zeiten von Wirtschaftsflaute und Bankenkrise kommen die drei Nutzungskonzepte Schwimmbad, Theater und Gastronomie nicht wirklich bei potenziellen Geldgebern an. Schade eigentlich. Sehr schade!
Doch ist Traum deswegen ausgeträumt? Sicher nicht! Gabriele Berger kämpft. Das alte Bad dient derzeit als Theater, Konzertsaal und Veranstaltungsort. Da die alte Heizungsanlage nicht nur marode, sondern ihr Betrieb schier unbezahlbar ist, liegen im Bad stets Decken aus und dem Besucher wird an kühleren Tagen wärmstens empfohlen, sich etwas dicker für den Kulturgenuss anzuziehen. Alles eine Frage der Improvisation.
Ein Laternengesäumtes Portal führt in das Innere des Stadtbads. Gleich gegenüber fällt der Blick auf das alte Kassenhäuschen. Nach links führt eine Treppe in die Schwimmhalle, nach rechts in ein eingemietetes Fitnesscenter. Dunkelgrüne Frakturschriften benennen die Ziele (was zumindest beim Anglizismus etwas zum Schmunzeln anregt).
Die Führung durch das Stadtbad machte die Hausherrin persönlich.
Es sieht etwas bizarr aus, wie die Stühle und Sessel im Halbkreis im Schwimmbecken stehen, aber es hat etwas. Und was für ein Bild muss sich erst bieten, wenn sich an manchen Abenden Tangotänzer durch das Schwimmbecken bewegen?
Auch das alte Dampfbad fungiert als Bühne. Das alte Saunabecken ist mit einem Gitterrost versehen, welches Unfälle der Akteure einerseits verhindern soll und eine wunderbare Requisite anderseits abgibt (wie z.B. für Kafkas Der Prozess, wenn das vergitterte Becken kurzerhand zum Gefängnis umgewandelt wird). Und während die Besucher sich auf den alten Ruhebänken unter den - nachträglich eingebauten Duschköpfen - niederlassen, fällt ihr Blick auf das wunderschönschöne Wandmosaik der Venus (siehe Bild oben).
Während der Führung erforschten wir die alte Wannen- und Brauseabteilung, die nun als Garderobe dient. Weiter ging es durch die Katakomben des Bades, die Maschinenräume, Heizungsanlagen und Lagerräume. Diese Teile des Bades werden ebenfalls gerne in die Theateraufführungen miteingebunden.
Zum Bad gehört auch eine alte Wäscherei, mitsamt Nähräumen, in denen uns Frau Berger einen uralten Trocknerschrank vorführte. Hier stellte Frau Berger auch ihr Personal vor, den höchst sympathischen Waschschutz - der die von krimineller Energie freien Besucher freundlich anwedelte - und den Kammerjäger, der sich bestens mit seinem Kollegen von der Sicherheit zu verstehen scheint (hier funktioniert sie also, die Mitarbeitermotivation!).
Der Besuch im Stadtbad war für mich das Highlight des Wochenendes der geöffneten Denkmale.
Künftig werde ich nicht mehr zögernd an dem alten Bad vorbei gehen, sondern meinen Latte macchiato im liebenswerten Ambiente des Cafés Freistil genießen.
Gute Nacht da draußen - was immer Du sein magst!  ^''^

1 Kommentar:

  1. Ein sehr schöner Artikel - wie wär's mit einem Besuch am heutigen Abend? Don Quijote wird ab jetzt jeden letzten Sonntag um Monat durch das Stadtbad reiten und gemeinsam mit Rosinante und Sancho Panza die verschiedenen Räume der Mancha, ach nein, des Stadtbades erkunden ... Start wird wohl in der Wäscherei sein, und irgendwann wird Don Quijote auch in der russisch-römischen Sauna die "Venus" als seine vereehrte Dulcinea entdecken ... ach, das wird ein Spaß und Hör- und Sehvergnügen!
    Herzliche Grüße
    Annette Spitzlay

    AntwortenLöschen